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Kommentar: Extremes Wetter zeigt Israels Schwächen

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Seit Tagen gibt es in ganz Israel kein anderes Thema: Als am Wochenende in Tel Aviv aussergewöhnlich schwere Regenfälle Überschwemmungen in der ganzen Stadt verursachten, ertrank ein junges Paar in einem überfluteten Lift. Das Paar hatte in die Tiefgarage ihres Wohnhauses fahren wollen, um ihr Auto vor dem ansteigenden Wasser zu retten. Anwohner des eher ärmlichen, vernachlässigten Süden der Stadt, in dem der Unfall passierte, beschweren sich seit Jahren über die schlechte Infrastruktur. So sei u.a. auch das Abflusssystem äusserst marode und hätte dieses Unglück überhaupt erst möglich gemacht. Es bleiben weiterhin viele Fragen: Warum der Fahrstuhl in dem Neubau nicht automatisch abgestellt wurde, wo doch bereits Wasser ins Gebäude lief, zum Beispiel. Und warum Anwohner mehrmals den Notruf wählten – ohne Antwort. Und warum die Feuerwehr den Fall schliesslich als „nicht dringend“ einstufte und dann viel zu lange brauchte, um zu kommen, obwohl die Schreie des Paares bereits über die ganze Strasse hallten.

Das Paar und der Fahrstuhl, in dem sie ums Leben kamen

Israel befindet sich seit seiner Gründung in stetigem, immer wieder beeindruckendem Wachstum. Das Land ist voller Baustellen und riesigen Infrastrukturprojekten (wie der Bahnlinie Tel Aviv-Jerusalem, die vor kurzem stark verzögert endlich fertig gestellt werden konnte). Wer das Land vor fünf Jahren zum letzten Mal besucht hat, wird es heute schon kaum wiedererkennen. Nicht nur in Tel Aviv entstehen ganze neue Viertel, auch andere Städte wachsen in Höchstgeschwindigkeit und vor allem im Zentrum des Landes, kommt die Infrastruktur kaum hinterher. Es fehlt an ausreichenden Zufahrtsstrassen, an öffentlichem Nahverkehr – vor allem aber fehlt es an Struktur und Regulationen.

Keine grundlegendsten Sicherheitsstandards

Und auch wenn sich der Sicherheitsstandard gerade in grossen Bauprojekten sicherlich immer mehr verbessert, wenn man aus einem stark reglementiertem Land wie Deutschland kommt, ist es trotzdem noch schockierend, wie lax in Israel mit sicherheitskritischen Dingen umgegangen wird. Ganze Haushalte sind nicht „geerdet“ (so etwas findet man dann höchstens durch Zufall heraus, wenn ständig die Sicherungen herausspringen), bei Sanierungsarbeiten wird anscheinend so kräftig gepfuscht, dass es selbst in neuen Häusern hineinregnet und höchst gefährliche Arbeiten, wie der Abbau eines Asbestdaches werden ohne zusätzliche Vorsicht oder Schutz für Arbeiter und Anwohner durchgeführt – all diese Fälle habe ich selbst in Tel Aviv erlebt. Ob Gas, Elektrizität, Wasser oder giftige Substanzen, in ganz seltenen Fällen wird meines Erachtens genug Zeit und Geld investiert, um auch nur grundlegendsten Sicherheitsstandards gerecht zu werden, die in Deutschland oder auch der Schweiz normal wären.

Dazu kommt eine gewisse Ignoranz der Israelis solchen Sicherheitsfragen gegenüber. Wenn man Israelis zum Beispiel darauf hinweist, dass ihre Behelfsheizer, die alle im Winter benutzen, ein Brandrisiko darstellen, wird man oft belächelt. Ja, das Aufregende an Israel, das so viel improvisiert wird und es kaum Regeln, aber dafür viel Freiheit gibt, ist gleichzeitig auch die grösste Schwäche des Landes. Eine Schwäche, die vor allem in extremen Situationen, wie den Unwettern am Wochenende zu Tage tritt. Und so unfassbar, so schrecklich und grausam das Unglück und Ertrinken der beiden gerade einmal 25-Jährigen in dem Fahrstuhl ist: Ich finde es fast überraschend, dass nicht ständig mehr im Land passiert. Schlimmer ist aber, wie schnell solche Unglücke dann wieder vergessen wird und wie wenig sich tatsächlich ändert.

Überschwemmungen im Süden Tel Avivs

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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