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Willkommen in Zoyas Welt

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Zoya Cherkassy ist eine der bedeutendsten Künstlerinnen Israels. Ihre beeindruckende Einzelausstellung PRAVDA wird momentan im Israel-Museum in Jerusalem gezeigt. Wir haben sie zum Gespräch in ihrem Tel Aviver Atelier getroffen…

Von Katharina Höftmann

Zoya Cherkassy malt im Süden Tel Avivs. Dort, wo die Stadt schmuddlig und am interessantesten zugleich ist, dort, wo es immer etwas zu entdecken gibt. Irgendwo zwischen Autowerkstätten und Strassenstrich, an den Häuserwänden riesige Graffiti, liegt ihr Atelier. Am Ende von vier Strassenzügen, die aussehen wie ein Ghetto aus Sozialbauten, winkt sie mir aus dem ersten Stockwerk von einer Art Empore zu. Über einen seltsamen Lastenaufzug gelangt man nach oben. An der Tür zu ihrem Atelier hängt ein deutsches „Zutritt verboten!“-Schild – nicht gerade sehr einladend, denke ich. Aber zum Glück öffnet ihre Assistentin, eine ruhige Russin um die 50, mit einem warmen Lächeln die Tür. Ich trete ein und bin erst einmal erschlagen von all dem, was es in dem Studio zu sehen gibt. Überall Malereien, an den Wänden, auf dem Boden. Aber auch die verschiedensten Antiquitäten, ein riesiger Wandteppich, ein alter Kassetten-Rekorder, Kunstblumen, Skulpturen und russische Bücher… Willkommen in Zoyas Welt!

Zoya Cherkassy thront auf einem hellen, etwas verranzten Sofa. Ihre Füsse stecken in Koi-Schlappen, Pantoffeln, die haargenau so aussehen wie der Fisch. Dort wo der Fischmund sich öffnet, kurz unter den starren Augen, gucken ihre unlackierten Zehen raus. Sie schlägt ihre Arme übereinander, präsentiert riesige Tattoos (auf ihrem linken Unterarm das Wort „attitude“, die anderen eine Mischung aus Seefahrer und Gruselkabinett) und schaut ernst und interessiert aus hellen, grünbraunen Augen. Ich will mit ihr natürlich über ihre aktuelle Einzelausstellung PRAVDA (zu Deutsch: Wahrheit) im Israel-Museum sprechen, die zutiefst beeindruckend ist. Aber wir fangen erst einmal ganz am Anfang an: Warum bist du Malerin geworden?

Zoya Cherkassy vor einer ihrer Malereien (Bild: Israel-Museum, Elie Pozner).

Sie antwortet so, als hätte sie selbst schon oft darüber nachgedacht: „Malen war mein Weg, mit der Realität klarzukommen. Alle Kinder in meinem Kindergarten wollten, dass ich etwas für sie male. Hunde, Autos, eine Prinzessin. Solche Sachen. Ich habe sehr früh verstanden, dass ich das besser kann als andere. Und dass ich das mein ganzes Leben tun werde.“ Da ist sie diese Zoya-Entschlossenheit, die sie durch das ganze Gespräch hinweg zeigen wird. Eine Entschlossenheit, die fast in Arroganz gipfelt, wenn sie sagt: „Die Lehrer hier in Israel hatten vorher selten jemanden in meinem Alter mit so ausgeprägten Zeichen-Fähigkeiten gesehen.“ Man versteht aber sehr schnell, dass Zoya Cherkassy nicht arrogant ist. Sie sieht sich selbst einfach nur sehr klar, ihr Talent, aber auch ihre Schwächen (zum Beispiel, dass sie keine gute Lehrerin wäre, weil sie immer nur sich selbst reproduzieren würde).

Chronistin der Ereignisse

Zeichnen gelernt hatte sie in der Ukraine. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wandert sie wie Millionen andere Menschen jüdischer Abstammung 1991 mit ihren Eltern nach Israel aus. Dort angekommen, wird die damals 15-Jährige sofort an dem renommiertesten Kunstgymnasium des Landes angenommen. Ihr Talent, das schon in der Ukraine niemand bezweifelte, findet schnell Förderer und Galeristen in der neuen Heimat. Der Erfolg fliegt ihr zu, das erklärt wohl auch ihr Selbstbewusstsein. Ihre Karriere startet so richtig 2002 mit ihrer ersten Solo-Ausstellung „Collectia Judaica“, in der sie den Davidstern, eines der wichtigsten Symbole Israels, mit dem Judenstern der Nazis verschmelzen lässt.

Das Thema Antisemitismus geht Cherkassy, so wie alles, was sie in ihren Bildern verarbeitet, praktisch emotionslos an. Sie sieht sich eher als Chronistin der Ereignisse, ohne das sie selbst unbedingt persönlich davon berührt oder betroffen sein muss. Cherkassy malt nicht ihr eigenes Leben, sondern Geschichten von Gemeinschaften, der jüdischen, der russischen, später auch die der afrikanischen Flüchtlinge in Israel – das ist wohl, was sie von vielen Künstlern unterscheidet.

„New Victims“ – Bild aus der Ausstellung PRAVDA (Bild: Israel-Museum).

Heute ist Cherkassy eine der bedeutendsten Künstlerinnen Israels. Ihre riesige Einzelausstellung PRAVDA wird momentan im Israel-Museum in Jerusalem gezeigt. Der Chef-Kurator Amitai Mendelsohn nennt ihre Bilder eine Kombination von „ausserordentlichen technischen Fähigkeiten“, „höchst formvollendetem Design“ sowie „provokativem Charakter und ungeheuerlichem Humor“. Dass sie so prominent in Israels wichtigstem Museum hängt, zeigt, dass ihre Arbeiten im Mainstream der Kunstszene angekommen sind. Wenn nur Mainstream nicht so ein falsches Wort wäre, für das was Cherkassy macht.

Abrechnung mit der russischen Einwanderung

PRADVA ist ihre Abrechnung mit der russischen Einwanderung nach Israel in den Neunziger Jahren. Sie hat zehn Jahre daran gearbeitet und ist darüber, wie sie selbst sagt, „erwachsen geworden“. Das blutige Bild „Die Beschneidung von Onkel Yasha“ ist die Quintessenz von Zoya Cherkassys Schonungslosigkeit, mit der sie alle Themen angeht. Es zeigt genau das, was der Titel beschreibt. Unzensiert. Denn die meisten männlichen, jüdischen Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion waren nun einmal nicht beschnitten, als sie ins Heilige Land kamen. Und auch, dass Onkel Yasha Brille und Schnauzer trägt und aussieht wie ein Mathematikprofessor ist gewollt. Die Künstlerin spielt mit diesen Klischees und Stereotypen, die ihr schon einige Male den Vorwurf des Rassismus eingebracht haben. Vorwürfe, die sie mit einer gelangweilten Handbewegung wegwischt: „All diese Dinge liegen doch in der Luft. Die russische Prostituierte, der orientalische Grabscher, die Putzfrau, die Beschneidung, ich habe einfach die Szenen gemalt, die für mich am offensichtlichsten waren. So habe ich schon mit fünf gemalt. Das ist mein Talent: Das Typische erfassen.“

„Itzik“ – Bild aus PRAVDA (Bild: Israel-Museum).

Die Art, wie Cherkassy malt, plakativ, schreiend gerade zu, jedes Bild eine abgeschlossene Story, ist unterhaltsam und massentauglich. Die Art, wie Cherkassy denkt, kreuz und quer, schnell und ausserordentlich reflektiert – ist alles andere als Mainstream. Das auffallendste an ihr ist jedoch der Humor. Wenn sie von ihren Jahren in Berlin erzählt („Ich habe Berlin verlassen, weil ich endlich heiraten wollte. In Deutschland redet ein Typ zwei Jahre mit dir und dann kapierst du erst, der ist ja schwul“), von der Illusion, dass Israel ein westliches Land ist („Meine Mutter denkt immer noch, dass wir im Westen sind. Wir sitzen in einer Wohnung mitten in Jaffa und sie fordert meinen Mann auf, sein Basecap drinnen abzusetzen – wir seien immerhin im Westen. Durch’s Fenster sieht man Moscheen und ich frage sie: Sieht das für dich wie der Westen aus?”) und was es bedeutet, jüdisch zu sein („In dem nigerianischen Dorf meines Mannes gibt es eine Familie, die sich als jüdisch definiert. Mein Mann erzählt, die halten Schabbat und auch die Speisegesetze ein. Ich frage ihn: Hassen die anderen sie? Mein Mann sagt: Nein, warum sollten sie? Darauf ich: Dann sind sie keine Juden!“).

Cherkassy in ihrem „ukrainischen Wohnzimmer“ im Atelier (Bild: KHC).

Während unseres Gesprächs, steht Zoya Cherkassy irgendwann auf, und beginnt mir ihr Studio zu zeigen. Mit den Kois an den Füssen schlappt sie durch das Atelier. Zeigt auf ihre Bilder: Die hängen da zum Trocknen. Die hier warten darauf, zu ihren Käufern in die USA geschickt zu werden. Und bei dem bin ich mir nicht sicher, ob es schon fertig ist. Dann setzt sie sich in das ukrainische Wohnzimmer, das sie hier mitten im Studio eingerichtet hat, und spielt ein wenig mit der roten Beete, Deko aus Plastik. Das Wohnzimmer mit dem Wandteppich von ihrem Grossvater, den Kristallgläsern und den schweren Möbeln ist ihre Heimat. Dort legt sie sich hin, wenn sie ihre Kindheit vermisst. Kiew, den Ort ihrer Kindheit hatte sie zwischendurch fast vergessen. Als sie für PRADVA Bilder malen wollte von diesem Kiew, konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wie es dort aussah. Sie buchte einen Flug und fliegt seitdem jeden Sommer.

Kiew, Tel Aviv und Ngwo in Nigeria (der Heimatort ihres Mannes) – das sind die festen Stationen in ihrem Leben. Aber sie überlegt auch, nochmal für eine Weile nach Europa zu ziehen: „Ich bin gedanklich immer da. Meine Kunst geht ausschliesslich auf europäische Konzepte zurück. Mein ganzes Verständnis für zeitgenössische Kunst… Ich lebe in einer schlechten Europa-Kopie, die ich mir hier geschaffen habe.“ Sie war schon ein paar Mal in Deutschland, längere Zeit in Düsseldorf, mehrere Jahre in Berlin. Jetzt fände sie Leipzig gut, das kennt sie kaum, da gibt es noch etwas zu entdecken.

Zoya Cherkassy inmitten ihrer PRAVDA-Ausstellung (Bild: Israel-Museum, Elie Pozner).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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