MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Wie ich meine Niere (vielleicht) verkaufte

in Leben, Kultur & Sport/Reportagen

Wie stark das helvetische Herz in meiner Brust schlägt, war mir nie bewusst, bis zu dem Tag, an dem ich in Israel ein Bankkonto eröffnen musste.

Für diese Geschichte nennen wir den Bankangestellten (in der Schweiz würde man es Banker nennen) Schlomi. Schlomi ist um die 50 Jahre alt, trägt ein braun-weiss-gestreiftes Kurzarmhemd und isst ein Sandwich, als er mich empfängt. Was ich wolle, fragt er. Ein Bankkonto eröffnen, antworte ich. Wir verschwenden zwei halbe Sätze, um über die Sache zu reden und unterhalten uns dann über mein Herkunftsland. «Ah die Schweiz!», ruft Schlomi lauthals und schmatzend zugleich. Dort habe er eine liebe Kindheitsfreundin. Er wischt sich einige Krümel von seinem Bauch und erzählt und erzählt und erzählt… Eine neue Jahreszeit schien angebrochen, als wir endlich mit meiner Kontoeröffnung fortfahren können. In der Schweiz hätte ich in der Zwischenzeit achtzig Konti eröffnet und ein Kind ausgetragen.

Mir wird ein zirka 70-seitiger Vertrag auf Hebräisch vorgelegt. Bedruckt in Schriftgrösse sieben. Ob ich alles durchgelesen habe? Natürlich nicht. Ob mir Schlomi erklärt hat, was dort steht? Natürlich nicht. Ob ich bis heute den Hauch einer Ahnung habe, was ich unterschrieben habe? Absolut keine Ahnung! Vielleicht habe ich mit meiner Unterschrift dem Verkauf meiner linken Niere zugestimmt. Der Himmel weiss es. Und Schlomi vielleicht… Er fragt schliesslich: «Hast du alles verstanden?» Und ich antworte: «Nein. Nichts. Und das weisst du ganz genau…». Er lächelt dubios, heftet die Seiten zusammen und arbeitet weiter.

Einige Minuten später spaziert eine ältere Frau durch das Stockwerk. «Frau Rubinstein! Frau Rubinstein!!», ruft Schlomi. Die Frau dreht sich um und grüsst zurück. «Ich habe Ihnen die 2’800 Schekel Ihres Sohnes überwiesen!», ruft Schlomi. «Auf welches Konto?», ruft Frau Rubinstein zurück. «Auf 7563?» – «Nein, nein», erwidert Schlomi. «Auf 8465» – «8465? Passt. Danke», ruft Frau Rubinstein und geht ihres Weges. Mein Schweizerherz hat infolge dieser Indiskretion zu schlagen aufgehört.

Bepackt mit einem Hieroglyphen-Vertrag und Frau Rubinsteins Bankangaben, verlasse ich die «Bank». Ich könnte sie «die Bank meines Vertrauens» nennen, es wäre jedoch gelogen.

Unterschreiben? Gern. Aber was? (Bild: pixabay.com)

Die freie Journalistin Joëlle Weil schreibt für diverse nationale und regionale Zeitungen und Magazine in der Schweiz. Seit 2013 lebt und arbeitet die Zürcherin in Tel Aviv.

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