Eine neue Jugendbewegung kämpft gegen die hohen Immobilienpreise in Israel. Bereits 60’000 Israelis haben sich ihr angehängt und es werden jede Woche mehr. Als Kollektiv wollen die Aktivisten Druck auf den Markt ausüben.
In Israel klagt man vor allem über zwei Sachen: über Politiker und über die hohen Lebenskosten. Letztere sind keine Ansichtssache, sondern Teil der Realität für die Bürger des Landes und deshalb immer wieder Stein des Anstosses für Proteste und Demonstrationen. Insbesondere, wenn es um die Wohnkosten geht, führt Israel eine Liste an, bei der man sein eigenes Land gern auf niedrigeren Plätzen sehen würde: Nirgendwo – ausser in Hong Kong – stiegen die Immobilienpreise zwischen dem Jahr 2006 und 2016 so stark an, wie in Israel. Dies geht aus einem Bericht der OECD hervor. Der «Economist» spricht von einem Preisanstieg von 82,1 Prozent während dieser Periode.
In kaum einem anderen Land kostet ein Eigenheim im Verhältnis zum Einkommen so viel wie hier, derzeit nämlich das 148-fache eines durchschnittlichen Monatslohnes. Gleichzeitig sind die Zinsen für Bankkredite sehr tief, was Investoren und auch viele junge Paare in Israel dazu verleitet, trotzdem die verhältnismässig teuren Immobilien zu kaufen und in sie zu investieren.
Kauf verhindern, Druck steigern
In Israel war man sich lange Zeit sicher: Die Preise werden weiter ansteigen. Es war kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen und irgendwie schien es, als hätte man sich widerwillig an die Immobilien-Blase gewöhnt. Diese Voraussetzungen waren der perfekte Nährboden dieser neuesten Protestbewegung. «Ha’Machaa hagdola» («der grosse Protest») nennt sich die Facebook-Gruppe, welche sich zum Ziel gesetzt hat, die Immobilienpreise in Israel drastisch zu senken. Seit einem Jahr ist die Gruppe aktiv und zählt bis heute 60’000 Anhänger. «Wir wollen die komplett überrissenen Immobilienpreise zusammen mit unseren Anhängern senken», sagt David M* von «Ha’Machaa hagdola» zu Zwischenzeilen. «Die israelische Bevölkerung kann sich in dieser Angelegenheit nur auf sich selbst verlassen. Wenn wir junge Paare davon abhalten können, Wohnungen und Häuser zu diesen Preisen zu kaufen, so setzen wir den Markt unter Druck und die Preise werden zwangsläufig zurückgehen.»
Zum ersten Mal markanter Preisrückgang
Die Forderung der Aktivisten und deren Anhänger ist klar definiert: Sie wollen dieselben Preisverhältnisse wie im Jahr 2008, als eine Immobilie im Schnitt das 95-fache eines durchschnittlichen Monatseinkommens kostete. Die neuesten Zahlen in Bezug auf die israelischen Immobilienpreise bestärken die Aktivisten in ihrem Kampf: Im ersten Quartal 2017 gingen die Preise um 2,9 Prozent zurück. Ein Rückgang, wie es ihn schon lange nicht mehr gegeben hat. Die Aktivisten jedoch zeigen sich verhalten begeistert, denn dieser Rückgang sei noch weit weg von dem, was sie eigentlich erreichen wollen.
Bei ihrer Aufklärungsarbeit fokussieren sie sich vor allem auf junge Israelis, welche mit einem Hauskauf ein finanzielles Risiko eingehen könnten. «Die israelische Gesellschaft kommt langsam zur Erkenntnis, dass der Kauf einer Immobilie zu den aktuellen Bubble-Preisen ein längerfristiges Risiko darstellt. In vielen Fällen kann das Darlehen nicht fristgerecht zurückbezahlt werden. Schulden sind dann die Folge», sagt David M.
Baurekord und Geisterimmobilien
In der Annahme, dass die Preise in Israel weiter ansteigen werden, wurde in den letzten Jahren fleissig gebaut. 121’000 neue Häuser befinden sich derzeit laut «Ha’Machaa hagdola» in der Bauphase. So viele, wie noch nie zuvor. Hinzu kommen um die 31’000 Neubauten, die bis anhin noch nicht verkauft wurden. «Diese Zahlen werden nicht transparent kommuniziert», so David M. «Potentielle Käufer sind verwirrt, weil sie überall andere Zahlen lesen und diese oft nicht einordnen können. Wenn man sich aber mit all den bereits publizierten Zahlen eingehend auseinandersetzt, so sieht man schnell, dass das Angebot grösser ist als die Nachfrage. Das sind die idealen Voraussetzungen, um mit einer ’Kauf-Boykott-Bewegung’ Druck auszuüben und unser Ziel erreichen zu können.»
Rothschild-Demonstration 2.0
Im Jahr 2011 gab es bereits eine Protestbewegung gegen die hohen Wohnkosten, welche international für Schlagzeilen sorgte. Damals schlugen die Demonstranten auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv ihre Zelte auf und harrten dort einen Sommer lang aus. Die damaligen Proteste hielten zirka ein Jahr lang an. David M. sieht Parallelen zwischen der damaligen Protestbewegung und der neuen, betont aber den wohl markantesten Unterschied: «Die Rothschild-Demonstranten zogen nach einigen Monaten ab. Wir aber bleiben, bis wir unser Ziel erreicht haben.» Dass dies keine beschränkte Sommeraktion sein würde, sei ihm klar. Wie lange die Aktion dauern werde, bis das Ziel erreicht sei, könne er auch nicht sagen – vielleicht drei Monate, vielleicht ein Jahr oder gar fünf Jahre?! Er wisse es nicht. Aber er weiss mit Bestimmtheit, dass das Ziel zu erreichen sei und dass diese Bubble-Preise nicht mehr lange anhalten würden.
Erfolge auf Papier
Es fällt den Aktivisten schwer, ihre Erfolge in Zahlen zu kommunizieren, weil sie nicht erfahren, wie viele der potentiellen Käufer im ersten Quartal 2017 ihretwegen ausgestiegen sind. Trotzdem steht fest: Sie sprechen eine breite Masse an und wissen, wo sie diesen Menschen begegnen können. Sie sind an grossen Konzerten oder am Food-Festival in Tel Aviv zu finden. Orte, an denen sich die Käufer von heute und morgen bewegen. «Wir haben bis heute hunderte Emails von jungen Paaren erhalten, die sich für einen Häuserkauf interessieren und diesen aufgrund unserer Aufklärungsarbeit verschoben haben», sagt David. Wie gross die Dunkelziffer sei, könne er nicht sagen.
In einer Crowdfunding-Aktion, in der es darum ging, Geld für Werbemittel zu sammeln, erhielt die Bewegung rund 55’000 Shekel. Das einst gesetzte Ziel waren 30’000. Die Aktion wurde durch die sozialen Medien bekannt und zeigte den Initianten, wie sehr der Rückhalt in der Bevölkerung wächst. Auf Politiker baue die Bewegung nicht. «Wir sind eine komplett unpolitische Bewegung», betont David M. «Wir suchen weder die Unterstützung der Knesset, noch die der Parlamentarier oder irgendwelcher Grossunternehmen. Und trotzdem ist mit uns zu rechnen.»
*Name der Redaktion bekannt
Facebook-Gruppe (Hebräisch):