Dschisr az-Zarqa ist eine der ärmsten Ortschaften Israels, die jahrelang, wenn überhaupt, nur Negativ-Schlagzeilen machte. Es herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit und viele Bewohner leben unter der Armutsgrenze. Doch mittlerweile versucht sich der Ort als Tourismusziel zu etablieren – geholfen haben die Betreiber eines Hostels, für die Koexistenz etwas ganz normales ist…
Von Katharina Höftmann
Neta Hanien spricht nicht gerne über Politik. „Viele Leute wollen uns treffen und über Koexistenz und all diese grossen Themen sprechen. Aber das liegt mir nicht, ich finde es sinnlos, nur darüber zu reden. Ich sage immer, sei einfach die Veränderung, die du sehen willst.“ Dieses Lebensmotto der vierfachen Mutter war wohl auch der Grund, warum sie ein Hostel in einer der ärmsten Ortschaften Israels eröffnet hat. Als Hanien, eine jüdische Israelin aus Aviel, zum ersten Mal Dschisr az-Zarqa besuchte, fühlte sie sich sofort an den Sinai erinnert, wo sie vor ihrer Karriere als Strafverteidigerin, Tauchlehrerin war.
Hanien, die schon lange etwas eigenes aufbauen wollte, sah in Dschisr grosses Potential für Tourismus. Der Ort liegt nicht nur direkt am Mittelmeer sowie am Wanderweg Israel National Trail, auch die Sehenswürdigkeiten von Caesaria und Zichron Yacov sind nur einen Katzensprung entfernt. Aber Hanien ging es um mehr, als ein erfolgreiches Tourismus-Projekt: Sie wollte, dass es den Menschen in Dschisr, eine der wirtschaftlich schwächsten arabischen Städte im Land, besser geht. Nicht nur finanziell, die Bewohner sollten vor allem etwas zurückbekommen, was ihnen lange schon verloren gegangen war: Hoffnung, Träume und Visionen.

Sie kam auf die Idee ein Hostel zu eröffnen, weil, wie sie sagt, vor allem Rucksacktouristen auf der Suche nach authentischen, einfachen Orten sind. „Ich wollte das Projekt unbedingt mit einem Einheimischen durchführen, aber es war anfangs überhaupt nicht leicht jemanden zu finden. Wenn die Leute aus Dschisr an Urlaub denken, dann an vornehme, riesige Hotels – keine von ihnen glaubte daran, dass Urlauber in ihr armes Dorf kommen würden.“ Monatelang klopft Hanien einfach an Türen, sie bekommt viel Zuspruch, aber niemand ist bereit, das Wagnis mit ihr einzugehen. Bis sie Ahmad Juha trifft. „Ich fand die Idee von Anfang an toll, aber irgendwie auch verrückt. Wer soll denn in unser Dorf kommen? Wir haben doch nichts zu bieten.“ Aber Juha, der sich selbst auch ein wenig als Verrückten bezeichnet, willigt trotzdem ein.
„Niemand hat wirklich daran geglaubt“
„Wir legten also los, aber ich sah allen Bewohnern an, dass sie nur darauf warten, dass ich aufgebe. Niemand hat wirklich daran geglaubt, dass wir es schaffen können.“, erzählt Neta Hanien und heute kann sie darüber lachen. Die Einstellung der Bewohner, ja sogar ihres Geschäftspartners Juha, ändert sich erst, als es Hanien gelingt, mehr als 90.000 NIS (etwa 21.400 Euro, 22.400 CHF) über eine Crowdfunding-Kampagne zu sammeln. „Als die Bewohner sahen, wieviel Unterstützung sie erhielten – vor allem von jüdischen Israelis, die dann auch gleich in Scharen zu Besuch kamen – änderte sich etwas.“

Dschisr as-Zarqa liegt zwischen dem Mittelmeer und der Autobahn, lediglich ein kleiner einspuriger Tunnel führt in den Ort. Die meisten der 14.000 Anwohner gehören zu einem Beduinen-Stamm aus Jordanien, der sich im 18. Jahrhundert in dem ehemaligen Sumpf-Gebiet niedergelassen hat. Der Rest geht auf Einwanderer von Ägyptern und Sudanesen zur Zeit des Osmanischen Reichs zurück. Benannt wurde das Dorf, der Legende nach, übrigens von Kaiser Wilhelm. Dieser soll auf einer eigens für ihn gebauten Brücke am Meer den poetischen Namen erfunden haben: „Brücke über dem Blauen“. Als der Baron Rotschild in die Gegend kam, engagierte er die Anwohner von Dschisr, um die Sumpfgebiete trocken legen zu lassen.
Die Kooperation mit den Juden schütze Dschisr einerseits im Unabhängigkeitskrieg, andererseits brachte sie den Bewohnern viel Hass und Ablehnung von arabischen Israelis ein, die nichts mit den „Verrätern“ zu tun haben wollten. Der Ort war jahrelang extrem verrufen, Kriminalität, Dreck und Armut – während andere arabische Städte wie Furaidis gerade am Wochende viel Laufkundschaft aus dem ganzen Land haben, verirrte sich niemand nach Dschisr az-Zarqa.
2000 Gäste beherbergte das kleine Hostel im letzten Jahr
Heute, gut zweieinhalb Jahre nach der Eröffnung des Hostels hat sich wahnsinnig viel in der kleinen Stadt getan. Durch die Arbeit von Hanien und Juha wurde nicht nur das israelische Tourismus-Ministerium auf Dschisrs Potential aufmerksam. Rund 2000 Gäste hat das kleine Haus mit 20 Betten (davon zwei Doppelzimmer, der Rest in Schlafsälen) allein im vergangenen Jahr beherbergt. Gut 60 Prozent davon kamen aus dem Ausland zu Besuch. Seitdem das Guest House seine Türen öffnete, haben vier bis fünf neue Restaurants aufgemacht, die Einheimischen geben Workshops für Besucher (arabische Küche, Handwerk etc.) und beherbergen Touristen regelmässig zu Essen bei sich zu Hause.

In einem Ort, in dem das Durchschnittseinkommen bei 4.000 NIS (etwa 950 Euro, 999 CHF) und die Arbeitslosigkeit bei 30 Prozent liegt, ist das so etwas wie eine kleine Revolution. „Auf einmal wollen alle englisch lernen, vor allem die Jungen, denn man muss sich mit den Touristen ja unterhalten können“, erzählt Ahmad Juha, der selbst siebenfacher Vater ist, lachend.
Viele, neue Projekte für Dschisr as-Zarqa
Manche Anwohner in Dschisr scheinen jetzt manchmal noch nicht recht glauben zu können, dass Urlauber sie besuchen – in jedem Kiosk und Restaurant muss man darum kämpfen, bezahlen zu dürfen, so glücklich sind die Menschen über die Touristen. Keine Frage, es gibt immer noch viel zu tun, gerade was die Entsorgung von Müll, das Recyclen und den Fahrstil der Bewohner angeht (bei einem Besuch sollte man unbedingt auf den Fusswegen bleiben) – aber dank Neta und Ahmad ist der Ort nun auf der Landkarte vieler wichtiger Leute.
So schickt nicht nur das amerikanische Taglit-Programm regelmässig junge jüdische Amerikaner nach Dschisr, auch die Kommunalverwaltung initiiert neue Projekte. Der grösste Erfolg aber ist keiner, den man schwarz auf weiss sehen kann – in Dschisr az-Zarqa haben die Anwohner auf einmal wieder Visionen und Hoffnung, dass Träume doch wahr werden können.

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