Die Davidstadt in Jerusalem ist immer für eine Überraschung gut, könnte man salopp sagen. Die Ausgrabungen auf dem angrenzenden Givati-Parkplatz lassen seit Jahren jedoch selbst hartgesottene Archäologen immer wieder staunen – und weitergraben. Ein Ortsbesuch von Jennifer Bligh
Man kann die kleinen, zusammengefalteten Briefe in den Mauerritzen kaum ausmachen. Die untersten Blöcke der Klagemauer sind hellgelb, die Bitten und Gebete stehen auf weissem Papier, das Licht ist dämmrig. Bislang haben noch nicht viele Hände die gereinigten Steine berührt, die unter dem ehemaligen Givati-Parkplatz am Rand der Jerusalemer Altstadt liegen. Der Sockel der Klagemauer steht in einem ausgefeilten Tunnelsystem, durch das früher Abwasser schwappte. Archäologie in der Hauptstadt Israels ist selten romantisch, dafür aber umso überraschender. Die Ausgrabung der Davidstadt ist nicht nur eines der spannendsten Archäologieprojekte in Israel, sondern auch eines, das Jerusalem im wahrsten Sinne des Wortes aufwühlt.
Vom Zufallsfund zur Grossbaustelle
„Wir sind davon überzeugt, und 150 Jahre Archäeologiearbeit bestätigen, dass genau hier König David sein Königreich aufgebaut hat“, Zeev Orenstein von der Ir David Stiftung. Einer der Gründe liegt in der Lage: Jerusalem ist von Hügeln umgeben und der Palast liegt auf einem Hügel, der so hoch ist, dass man die anderen Hügel überblicken kann, es gibt eine eigene Wasserquelle (Gichon) die nur von der Ir David aus erreicht werden konnte – und die Fundstücke weisen allesamt darauf hin, dass hier königlich residiert wurde. Wobei „hier“ ein paar Meter weiter östlich liegt.
Schätze und ihre Geschichte
Auf dem an die Davidstadt angrenzenden Givati-Parkplatz sollte eigentlich das neue Besucherzentrum gebaut werden. Eigentlich. Doch der Parkplatz hat seine ganz eigene Geschichte, oder besser gesagt, Geschichten. Anstelle des neuen Besucherzentrums wird hier seit acht Jahren gegraben, gebuddelt, gefeilt – und freigelegt. Zehn bis zwölf Lagen Geschichte liegen übereinander. Gefunden wird ständig etwas Neues, besondere Highlights waren der grösste Goldmünzenfund (angeblich von einer nervigen Praktikantin, die von den Archäologen in die
entfernteste Ecke geschickt wurde), ein Ohrring (dessen Replika von Sarah Netanyahu getragen wird) und im angrenzenden Abwasserkanal ein goldenes Glöckchen, wie es nur von Hohepriestern verwendet wurde, eine der ältesten Menora-Steingravuren – mit fünf Armen (US-Präsident Obama trägt eine kleine Replika als Manschettenknöpfe) und ein Olivenöl-Verschluss, der auf ziviles Leben hinweist. Unter den grünen Absperrplanen arbeiten die Archäologen in diesen Wochen an der Freilegung eines hellenistischen Gebäudes, darunter, das wissen sie bereits jetzt, liegt ein Haus aus der Zeit des 1. Tempels.
Die Ausgrabungen werden von der israelischen Antiquitäten Behörde, der offiziellen Archäologiestelle des Heiligen Landes, überwacht, und weitgehend von privaten Spendern aus dem Ausland, der Stiftung und verschiedenen akademischen Institutionen finanziert
Touristenmagnet und Jerusalems Unvollendete.
Ein Ende ist nicht abzusehen, die Ausgrabungsstätte wird immer grösser und die Dimensionen erreichen immer grössere politische Kreise – denn dort, wo die Davidstadt anfängt oder aufhört, ist heute sowohl das moderne als auch das alte Jerusalem: Die City of David liegt leicht versetzt unterhalb des Tempelbergs, grenzt im Osten an das arabische Viertel Silwan und im Süden an das UN Hauptquartier. So kommt es auch, dass die untersten Blöcke der Klagemauer hier liegen. Und Jerusalem in aller Pracht und Dynamik direkt darüber rauscht.
Die grösste archäologische Ausgrabungsstätte in Jerusalem ist über die Jahre zum Touristen-Highlight geworden: wo früher pro Jahr knapp 10 000 Besucher kamen, sind es heute über eine halbe Millionen Menschen, die die Fundstücke aus der Zeit der Kaaniter vor 4000 Jahren, der Zeit des Zweiten Tempels und aus dem Leben der Bevölkerung bestaunen. Die vielen Besucher sind auf der einen Seite zwar gut für den Tourismus der Stadt, aber es macht die Arbeit für die Archäologen nicht einfacher. Wasserflaschen und Müll fallen aus Versehen immer mal wieder von der Metallbrücke direkt in die Ausgrabungsstätte darunter.
Ein Leben für die Archäologie
Der Holocaust-Überlebende Gabriel Barkei kam 1950 nach Jerusalem und feiert in diesem Jahr sein 65. Jubiläum als Archäologe in der Hauptstadt. Er wurde 1996 mit dem Jerusalem Preis für sein Lebenswerk als Archäologe in Jerusalem ausgezeichnet.
„Jeden Tag entdecken wir etwas Neues“, erzählt er immer noch mit leuchtenden Augen. Bis jetzt, so schätzt er, wurden erst 50% der Erde aus dem Tempelberg-Bereich richtig durchsucht. „Wir haben Arbeit für 15 weitere Jahre“, sagt er. Die bereits katalogisierten Fundstücke datiert er auf die Zeit des 1. Tempels, allerdings wurden erst 20% ganz genau zugeordnet. Es gibt so viele Schichten und Objekte: Scherben von Haushaltswaren, Schmuck, einige königliche Siegel aus Ton, Fundstücke aus dem Mittleren Bronzealter.
Die Geschichte schreibt sich weiter
Im Jahr 2004 hatten Dr. Barkai und Zeev Orenstein Glück im Unglück: Vor zehn Jahren ist ein Wasserrohr direkt ausserhalb der Jerusalemer Altstadt geplatzt. Die herbeigerufenen Experten flickten nicht nur das Rohr, sondern fanden dabei zufällig auch noch den Teich von Siloah (Pool of Siloam) aus der Zeit des 2. Tempels, der auf dem Pilgerweg zur Klagemauer lag. So wurde die Ausgrabungsstelle erneut vergrössert – und vor drei Jahren, also 2011, wurde der Sockel der Klagemauer freigelegt, der über 2000 Jahre unentdeckt geblieben war. So schreibt sich die Geschichte der Davidstadt weiter, so wie auch Besucher ihre Bitten und Gebete fortschreiben und immer neue Briefe in die nun zugänglichen Sockelritzen des dämmrig beleuchteten Abwassertunnels stecken werden.
Weitere Informationen:
Youtube video: The Givati Parking Lot, Zahi Schaket
Givati Parking lot excavations: