Der Städte neue Kleider
von Jennifer Bligh
Die Schweizer Farbexpertin und Innenarchitektin Michelle Holtz hat sich in Israel ihren Jugendtraum erfüllt und macht das, was sie am besten kann: Sie verschönert Häuser von innen und außen. Die gebürtige Luzernerin ist inzwischen dabei, nach über 900 Häusern Tel Aviv nun auch Gebäuden in Netanya und Kfar Saba neue Gewänder zu verpassen.
Den ersten Eindruck hätte Michelle Holtz nicht besser hinbekommen können: das leuchtend goldgelbe T-Shirt mit der perfekt abgestimmten grauen Hose, die avantgardistische dunkle Brille, die lässige Hochsteckfrisur und die extravagante Kette versprechen genau das, was in der kreativen Wahl-Israelin steckt: eine hochkreative Frau, die im Leben am richtigen Punkt angekommen ist. Oder besser, an der richtigen Kreuzung, denn Stillstand würde für die quirlige Luzernerin vermutlich eine größere Qual bedeuten als ein Rückschritt.
Architektur und Farbe
Michelle Holtz hat sich mit 29 Jahren, als Mutter von drei Kindern und ausgebildete Farbberaterin im Modebereich in Israel niedergelassen. „Damals wusste hier so gut wie niemand, was Farbberatung ist“, erinnert sich die jetzt 54-Jährige. Bis Michelle Holtz jedoch zu ihrem ersten Renovationsprojekt kam, ist viel Zeit vergangen: Erst mit 38 Jahren und erwachsenen Kindern erfüllte sie sich ihren Jugendtraum und studierte in Tel Aviv Innenarchitektur. Doch nach ihrem Abschluss steckte das Land mitten in der zweiten Intifada. „Es gab keine Arbeit“, erinnert sich Holtz. Sie besprach das Dilemma mit einem Schweizer Kollegen, der sie ermutigte, sich selbstständig zu machen. Ihr individueller Dreh war von Anfang an die harmonische Kombination von Architektur und Farbe. „Sind wir ehrlich, ob es sich um Mode, Häuserwände oder Möbel handelt, ist ja letzen Endes gleich“, sagt Holtz. Dies mag heutzutage einleuchtend klingen – in Israel, einem Land, in dem „die schönste Farbe für Häuser weiß ist“, war dies jedoch ein bahnbrechendes Novum.
Psychologie der Farben
Seit über 15 Jahren ist Holtz mit genau dieser Farb-Mischung erfolgreich: „Eines meiner ersten Projekte war ein Gebäude an der Basel Straße in Tel Aviv“, erinnert sie sich. Mit viel Mut schlug sie vor, mit farblich nach oben weniger intensiv werdenden Streifen die Fassade zu gestalten. Bis heute wird dieses Gebäude als herausragendes Beispiel für das moderne Tel Aviv gezeigt. An ein anderes frühes Projekt erinnert sich die leidenschaftliche Schweizerin ebenfalls gerne: Eine Hotelfassade am Toten Meer war in einen grässlichen Farbton getaucht worden und Michelle Holtz rührte noch vor Ort die Restfarben aus verschiedenen Eimern zusammen. „Das hat die baff gemacht“, erinnert sie sich und lächelt breit. Die Hotelfassade wurde mit den Restfarben neu gestrichen, der Bauherr war glücklich – und für Michelle Holtz eröffnete sich der Weg in die Tel Aviver Stadtverwaltung: Ezra & Bitzaron ist eine städtische Organisation, die Wohnungseigentümern mit städtischer Hilfe ermöglicht, Häuserfassaden zu renovieren. „Jetzt stellen Sie sich nur vor, in einem Haus leben Israelis, Russen, Franzosen, Junge und Alte und jeder hat eine andere Idee darüber, welches die schönste Farbe ist“, sagt Michelle Holtz. Kaum einer könne sich vorstellen, welche Streiereien sich daraus unter Nachbarn entwickelten. „Deswegen bleiben Baugerüste manchmal monatelang kostenpflichtig stehen“, erzählt sie kopfschüttelnd. Damit der Kompromiss nicht wie so häufig „Perlfarbe“, ein Off-White, werde, investiere sie viel Zeit mit den Wohnungsinhabern. Farbe und Bauen geht Hand in Hand mit Feingefühl und Psychologie, findet Holtz.
Ocker im Joghurtbecher
Michelle Holtz ist eine Expertin im das-Beste-aus-einer-Sache machen. Sie fotografiert das Objekt und folgt dann in ihrem Büro in Jaffa ihrem Bauchgefühl bei der Ideenausarbeitung. Es macht sie fast untröstlich, wenn gute Chancen nicht genutzt werden. Wie beispielsweise mit den vielen Bauhaus-Häusern, die zum Teil nur mit einem Verputz versehen sind. „Die Feuchtigkeit, der Sand und die Abgase in Tel Aviv machen die Fassade doch in kürzester Zeit unansehnlich“, weiß Holtz. Ein Graus ist ihr auch die gemischte Ockerfarbe, die vermutlich direkt nach Perlweiß auf der israelischen Beliebtheits-Skala rangiert. „Früher hat man Ocker mit Joghurtbechern abgemessen und in die weiße Farbe gekippt“, sagt sie. Ein bisschen Ocker – ein Becher voll auf einen Eimer, intensiv wird es ab drei Joghurtbechern. Der Gedanke, dass eine Häuserfarbe mit den Bäumen vor dem Haus harmonieren kann oder verschiedene Farbtöne ein Gebäude aufwerten können, war vielen Wohnungsbesitzern ein völlig neuer Gedanke. Dabei spielen noch viele weitere Faktoren eine Rolle: Michelle Holtz bedenkt, aus welcher Zeit das Gebäude stammt, ob man es optisch breiter, höher oder schmäler gestalten kann, was es für Schattenspiele von umliegenden Objekten gibt und welche Aspekte besonders hervorhebenswert sind. „Wichtig ist mir, dass ich nie ‚gegen‘ ein Gebäude baue, sondern immer ‚mit‘ dem Haus“, erklärt Holtz.
Inzwischen hat sich nicht nur Michelle Holtz einen Namen gemacht, auch das Stadtbild hat sich verändert: In Tel Aviv tragen über 900 Gebäude ihren Finger- oder besser gesagt, Farbabdruck. Derzeit arbeitet Holtz hauptsächlich in Kfar Saba und Netanya. Gerade in Netanya spielen Meeresfarben eine große Rolle – und der Wunsch der Bürgermeisterin nach einer farbigen Stadt.
„Ich habe gute Arbeit geleistet“
Das Rathaus in Netanya, ein, natürlich, ockerfarbenes Gebäude aus den 1950er Jahren, war ein Schandfleck mitten in der Fußgängerzone: Kabel, Abflussrohre und Klimaanlagen verschandelten die heruntergekommene Fassade, die Geschäfte im Parterre waren ein wirres Farbspiel für die Augen. Jetzt sind die Kabel in integrierten Schächten in der silbergrauen Fassade versteckt, die Klimaanlagen sind auf dem Dach angebracht und die Geschäfte haben einheitliche Schilder und Markisen.
Neben den städtischen Projekten verschönert Holtz auch Privathäuser. „Natürlich hat der Kunde das letzte Wort“, erzählt sie. Aber mit ihrer Erfahrung und Einfühlungsvermögen weiß sie, schlimmste Farbsünden zu verhindern. „Wenn ich zu Bedenken gebe, dass ein pinkes Gebäude wie ein Barbiehaus aussehen wird oder zu knallige Wände das Verkaufen schier unmöglich machen würden, überzeuge ich die Kunden, ohne dass sie ihr Gesicht verlieren“, sagt sie lächelnd. Dann muss sie los, packt ihre kleine knallgrüne Ledertasche und den praktischen großen Rucksack – der nächste Kunde wartet bereits auf die richtige Mischung für sein Zuhause.
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