MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Ein Abkommen ist dringend nötig – trotz erfolgreicher Geiselbefreiung

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Ganz Israel hat am Samstag die Befreiung von vier Geiseln durch die Armee gefeiert. Die vier Geiseln Noa Argamani, Shlomi Ziv, Almog Meir Jan und Andrey Kolzov waren am 7. Oktober vom Nova-Festival entführt worden. Ihre erfolgreiche Befreiung ist die erst dritte militärische Operation, der das gelang. In anderen Versuchen kamen Geiseln z.T. durch Beschuss der israelischen Armee ums Leben. Bei aller Freude warnen Experten deshalb, dass weitere Befreiungen sehr schwierig sein werden. Viele der Geiseln werden offenbar unterirdisch, in Tunneln und Bunkern, festgehalten. Und die Hamas wird vermutlich aus der Aktion vom Wochenende lernen und die Sicherheitsvorkehrungen um die Geiseln verschärfen und ihre Lebensbedingungen noch härter machen. Die Terroristenführer der Hamas haben ihren Geiselnehmern bereits den Befehl gegeben, dass sie, wenn sie glauben, dass israelische Truppen kommen, als erstes die Gefangenen erschiessen sollen, so israelische Beamte, die am Montag von der New York Times zitiert wurden.

Unterernährung und Stockholm Syndrom

Währenddessen wurden erste Berichte der befreiten Geiseln bekannt. Ärzte erklärten, dass sich die vier befreiten Geiseln in einem schlechteren physischen und psychischen Zustand befinden, als zunächst angenommen.
Noa Argamani, Shlomi Ziv, Almog Meir Jan und Andrey Kozlov wurden bei ersten medizinischen Tests im Sheba Medical Center am Samstag als unterernährt eingestuft. Nach ersten Gesprächen mit den vier glaubten Mediziner ausserdem, dass sie Anzeichen des Stockholm-Syndroms aufwiesen, da die geretteten Geiseln von schrecklichen Erlebnissen in der Gefangenschaft berichteten und gleichzeitig erklärten, dass sich ihre Entführer um ihr Wohlergehen sorgten.
Umso grösser ist das Flehen der Familien derer, die sich immer noch in Gaza als Geiseln befinden, schnellstmöglich alles für ein Abkommen zu tun. Führende der israelischen Armee halten einen Waffenstillstand in naher Zukunft für umsetzbar. Die Operation in Rafah soll gegen Ende des Monats beendet werden. Danach wird man sagen können, dass die IDF, abgesehen vielleicht von einem Bataillon im Zentrum des Gazastreifens, allen 24 territorialen Brigaden der Hamas im Gazastreifen einen erheblichen Schlag versetzt hat.

Die Möglichkeit für einen Waffenstillstand besteht

Aus Sicht der Armee bietet dies die Möglichkeit, zur nächsten Phase überzugehen. Der militärische Flügel der Hamas würde dann nicht mehr als reguläre Terroristenarmee eingestuft, sondern nur noch als lockere Gruppierung, die aus relativ kleinen Einheiten besteht, die keiner klaren Hierarchie unterstehen. Zumindest theoretisch ergebe sich daraus, so die Meinung der Experten, eine neue Chance für eine Vereinbarung, die einen Waffenstillstand und vielleicht sogar eine diplomatische Einigung im Norden einschliessen würde.
All das hängt natürlich von der Bereitschaft der israelischen Regierung und der Hamas-Führung ab. Und im Moment scheint es auf beiden Seiten keine besonders grosse Bereitschaft zu geben. Zumal die zentralistische Partei der Nationalen Einheit, die nach dem 7. Oktober unter der Führung von Benny Gantz, einer Notstandsregierung beigetreten war, diese jetzt verlassen hat. Gantz erklärte seinen Rückzug aus der Übergangsregierung damit, dass „schicksalhafte strategische Entscheidungen aufgrund politischer Erwägungen hinausgezögert“ würden. Ausserdem würden Entscheidungen nicht zum Wohle des Staates, sondern lediglich aus politischen Gründen getroffen.

Nach ihrer Befreiung kommt Noa Argamani im Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv an, um mit ihrer Mutter Liora, die Krebs im Endstadium hat, wieder vereint zu werden (Bild: Ichilov-Krankenhaus)

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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