MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kampf um die Geiseln

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Nach und nach melden sich immer mehr der bereits freigelassenen Geiseln zu Wort. In Fernsehberichten erzählen sie vom Horror, den sie erlebten. So berichtet die 77-Jährige Ophelia Roitman aus dem Kibbutz Nir Oz, dass sie 47 Tage alleine in dem Privathaus einer Krankenschwester und eines Technikers gefangen gehalten wurde. Um nicht verrückt zu werden, lief sie kleine Runden in ihrem Zimmer und begann ein Tagebuch zu schreiben: „Ich habe mir gesagt, wenn Anne Frank das konnte, dann kann Ophelia Roitman das auch.“

Die junge Mutter Doron Katz Asher, die mit ihren vier- und zweijährigen Töchtern Raz und Aviv als Geisel genommen wurde, erzählt, dass sie anfangs in dem Haus einer Familie eingesperrt worden waren, dort auf dem Sofa, wurde die Schusswunde ohne Betäubung versorgt, die Doron während der Entführung erlitten hatte. Wenn die Mädchen weinten, hämmerten ihre Entführer an die Tür des Zimmers, in dem sie gefangen gehalten wurde. Wenn die Mädchen hungrig waren, gab es oft kein Essen. Katz Asher schlief immer nur mit einem offenen Auge, um ihre Töchter immer im Auge zu behalten. Später wurden die Mutter und ihre zwei kleinen Töchter in einer Nacht und Nebel-Aktion in ein Krankenhaus in Gaza gebracht – aber nicht, um dort die Schusswunde von Katz Asher fachmännisch zu behandeln, sondern um in einem Raum mit anderen israelischen Geiseln eingesperrt zu werden. Alle Geiseln, die öffentlich von ihrem Martyrium berichten, fordern vehement, dass die restlichen in Gaza verbliebenen Geiseln so schnell wie möglich zurückgebracht werden. Viele von ihnen haben Familienangehörige, die immer noch in der Hand der Terroristen sind.

Doron Katz Asher und ihre beiden kleinen Töchter Raz, 4, und Aviv, 2, sind seit dem 25. November 2023 wieder mit ihrem Mann und Vater Yoni vereint. Dorons Mutter starb bei der Entführung. (Bild: Schneider-Kinderkrankenhaus)

Die Familien von Geiseln und Unterstützer, insgesamt tausende von Menschen, versammelten sich am Samstagabend in Tel Aviv, um für die Freilassung ihrer Angehörigen zu protestieren – das Ganze geschah, nachdem die israelischen Streitkräfte am Freitag irrtümlich drei Geiseln getötet hatten, denen die Flucht gelungen war. Der Vorfall hatte zu grossem Entsetzen in der israelischen Öffentlichkeit geführt. Darüber hinaus waren immer mehr Geiseln identifiziert worden, die in Gefangenschaft ermordet wurden.

„Wir empfangen nur Tote. Wir wollen, dass die Kämpfe eingestellt und Verhandlungen aufgenommen werden“, forderte Noam Perry, die Tochter der Geisel Haim Perry, auf der Kundgebung in Tel Aviv. Und während die Angehörigen der Geiseln und ihre Unterstützer auf den Demonstrationen möglichst unpolitisch agieren wollen, wächst die Kritik an Israels Premierminister. Netanyahu, so Angehörige, hätte von Anfang an wenig Interesse an den Schicksalen der Geiseln gezeigt und die Angehörigen oft stundenlang warten lassen, wenn überhaupt ein Treffen zustande kam, wird immer lauter. Viele Israelis glauben darüber hinaus nicht, dass die Geiseln militärisch befreit werden können.

„Sie haben uns zuerst erklärt, dass die Bodenoperation die Entführten zurückbringen würde“, sagte Ruby Chen, der Vater des 19-jährigen entführten Soldaten Itai, „Das hat nicht funktioniert. Denn seither sind zwar Entführte zurückgekehrt, aber nicht lebend. Es ist also an der Zeit, diese Annahme zu ändern.“

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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