MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Finanzpolitik: „Die sozialen Proteste waren ein Weckruf für die Regierung“

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Yael Mevorach ist Expertin für Makroökonomie und Vize-Direktorin für die einflussreiche Budget-Abteilung im israelischen Finanzministerium. Wir sprachen mit ihr über die israelische Wirtschaft und die hohen Lebenserhaltungskosten…

Das Interview führte Katharina Höftmann

Zwischenzeilen: Sie arbeiten seit zehn Jahren im israelischen Finanzministerium, seit einigen Jahren als Vize-Direktorin für die einflussreiche Budget-Abteilung, welche Veränderungen haben das Ministerium in den letzten Jahren besonders geprägt?

Yael Mevorach: Nun, zuerst einmal kann man darauf stolz sein, wie die israelische Wirtschaft mit der Finanzkrise 2008 umgegangen ist. Viele Länder hat die Krise extrem hart getroffen, wir waren nach etwa anderthalb Jahren wieder auf Kurs, mit positivem Wachstum und einem starken Arbeitsmarkt.

Zwischenzeilen: Was hat Israel anders gemacht als die anderen?

Mevorach: Zuerst einmal war unser Finanzsektor viel sicherer, es gab keine toxischen Anlagen im System und wir mussten auch nicht unsere Banken retten. Eine weitere Sache ist, dass unsere Steuerpolitik sehr verantwortungsbewusst war, 2007 hatten wir ein ausgeglichenen Budget, in den Jahren davor ein gutes Wirtschaftswachstum. Wir haben die Grösse unseres Staatsapparates Stück für Stück verringert und waren somit alles in allem in einer guten Position, als die Krise begann.

Ich bin froh, dass endlich auf die sozialen Probleme fokussiert wird

Zwischenzeilen: Welches zweite Ereignis hat das Ministerium geprägt?

Mevorach: Die sozialen Proteste 2011. Sie waren ein Weckruf für die Regierung.

Zwischenzeilen: Inwiefern?

Mevorach: In den Protesten wurde sehr deutlich, was die Menschen von der israelischen Regierung erwarten, das hat die Prioritäten bei der Verteilung von Geldern verändert. Ich war selbst als Leiterin der Gruppe für die Verringerung von Lebenserhaltungskosten in dem Trajtenberg Komitee, das nach den Protesten von der Regierung eingerichtet wurde und muss sagen, dass ich froh bin, dass endlich auf die sozialen Probleme fokussiert wird und nicht mehr ausschliesslich auf die Verteidigungspolitik.

Demonstration gehen hohe Lebenskosten in Tel Aviv, August 2011 (Bild: https://www.flickr.com/photos/avivi/6089163858/)
Demonstration gehen hohe Lebenskosten in Tel Aviv, August 2011 (Bild: https://www.flickr.com/photos/avivi/6089163858/)

Zwischenzeilen: Laut eines aktuellen Berichts des Taub Centers zur wirtschaftlichen Lage hat Israel im OECD-Vergleich jedoch immer noch exorbitante Lebenserhaltungskosten, die nur noch von Japan getoppt werden. Die Regierung hat in den vergangenen Jahren u.a. die Mehrwertsteuer gesenkt, reicht das?

Mevorach: Die einzige Lösung für dieses Problem ist, dass wir unsere Märkte noch wettbewerbsorientierter machen müssen. Viele der lokalen Produzenten agieren eben nur auf dem israelischen Markt, das verringert die Produktivität. Dazu kommt, dass Monopole, zum Teil auch staatliche, die Preise zum Nachteil der Verbraucher beeinflussen.

Zwischenzeilen: Wie kann man diese Monopole zerschlagen oder ihren Einfluss verringern?

Mevorach: Das ist eine Frage, an der wir jetzt seit einigen Jahren arbeiten. Wir versuchen, Alternativen zu schaffen und zu stärken. Wir haben viele staatliche Firmen privatisiert, aber dieser Wandel ist nicht einfach. Importe können die Preise senken und den Druck auf regionale Produzenten erhöhen aber die Häfen beispielsweise sind immer noch ein staatliches Monopol – wenn diese nicht effizient genug sind, haben wir ein Problem. Man darf auch nicht vergessen, dass wir in Bezug auf den Import von Gütern wie eine Insel sind. Viele Waren haben hohe Transportkosten.

Zwischenzeilen: Und dann kommt noch dazu, dass Lebensmittel koscher sein müssen…

Mevorach: Eben, noch mehr zusätzliche Kosten.

Ein einfaches Toastbrot kostet im Angebot immer noch 12,90 NIS (etwa 3 Euro, 3,20 CHF) – Preise, die viele Israelis auf die Palme bringen (Bild: Wikimedia/Rakoon)
Ein einfaches Toastbrot kostet im Angebot immer noch 12,90 NIS (etwa 3 Euro, 3,20 CHF) – Preise, die viele Israelis auf die Palme bringen (Bild: Wikimedia/Rakoon)

Zwischenzeilen: Sie erwähnten die Produktivität in Israel, warum ist diese hier soviel geringer als in vielen OECD-Ländern?

Mevorach: Exportmärkte haben eben eine höhere Produktivität, bei uns gibt es viele lokale Geschäfte, die nicht exportieren und somit quasi ohne wirklichen Wettbewerb operieren. In den letzten zehn Jahren haben wir ausserdem intensiv an einer gleichmässigen Beteiligung am Arbeitsmarkt gearbeitet. Immer mehr ultra-orthodoxe Männer und arabischen Israelis arbeiten, auch dank spezieller Förderprogramme, das wird die Produktivität weiter erhöhen.

Die Minderheiten stellen eine riesige Chance dar

Zwischenzeilen: Viele von ihnen arbeiten im Niedriglohnsektor.

Mevorach: Der Grund dafür, dass die Produktivität insgesamt immer noch so niedrig ist. Aber der Trend ist positiv, diese Minderheiten stellen eine riesige Chance für Israel dar und wenn man sich die demografische Entwicklung anschaut, sieht man, dass sie unser grösstes Wachstumspotential sind. Wir hoffen, dass sie eben in fünf Jahren in besser bezahlten Jobs arbeiten, deswegen sind die Ausbildungsprogramme für diese Gruppen so wichtig.

Zwischenzeilen: Das Ziel scheinen immer Jobs im High-Tech-Sektor zu sein, wo die Mehrzahl der gut bezahlten Jobs in Israel zu finden ist, aber eine Gesellschaft braucht auch Lehrer und Müllmänner. Birgt dieser Fokus auf Israel als Start-up-Nation auch Gefahren für die Wirtschaft?

Mevorach: Was die Gleichheit angeht, stehen wir vor grossen Herausforderungen, aber gerade die Gehälter von Lehrern wurden beispielsweise in den letzten Jahren um insgesamt 20 Prozent und mehr erhöht. Höhere Gehälter alleine sind aber nicht die Antwort. Wir wollen, dass sich der High-Tech-Erfolg auf andere Elemente des Marktes auswirkt.

Zwischenzeilen: Zum Beispiel?

Mevorach: Nehmen Sie die Navigationsapp Waze, diese Innovation hat, die Art, wie wir Strassen nutzen und planen erheblich beeinflusst. Durch die App können viele Nutzer die verbrachte Zeit auf den Strassen optimieren. Wenn wir am Tag zehn Minuten sparen können, ist das fantastisch. Wir brauchen noch mehr solcher „Nebeneffekte“, der Bildungs- und Gesundheitssektor – sie alle können von Entwicklungen der High-Tech-Branche profitieren.

Die Navigations-App Waze wird von vielen Israelis benutzt (Bild: Screenshot)
Die Navigations-App Waze wird von vielen Israelis benutzt (Bild: Screenshot)

Zwischenzeilen: Lassen Sie uns über den Wohnungsmarkt in Israel sprechen. Sie waren selbst einige Jahre in der verantwortlichen Abteilung im Finanzministerium beschäftigt – die Preise für Eigentumswohnungen in Israel sind so hoch wie nie zuvor. Was tut das Ministerium, um Wohnen erschwinglich zu machen?

Mevorach: Zuerst einmal versuchen wir gegen die geringen Zinsen für Kredite anzukommen, was nicht einfach ist. Dann bemühen wir uns, mehr Wohnraum zur Verfügung zu stellen, die Nachfrage ist einfach extrem hoch und wir kommen kaum hinterher. Ganze neue Nachbarschaften müssen geplant werden, die meisten auf Land, das dem Staat gehört. Wir konnten die Verkäufe in den letzten Jahren verdoppeln.

Zwischenzeilen: Und dann werden neue Nachbarschaften gebaut und in der Sekunde, in der die Wohnungen bezugsfertig sind, steigt ihr Verkaufspreis um 30, 40 Prozent. Wie kann diese Entwicklung gestoppt werden?

Mevorach: Die Preise können nicht unendlich ansteigen, aber so lange die Zinsen so niedrig sind, ist es schwer, diese Entwicklung zu stoppen. Wir haben viele Schritte unternommen, um die Profitabilität für Investoren zu verringern, beispielsweise durch höhere Steuern. Ausserdem versteigern wir Land mittlerweile nicht mehr an den Höchstbietenden, sondern an die Bauunternehmen, die fertige Wohnungen am Ende am preiswertesten verkaufen.

Zwischenzeilen: Das verringert den Wert der Immobilien…

Mevorach: Und genau das wollen wir momentan erreichen. Wir fördern daneben den Bau von Wohnhäusern in den Kommunen, für diese war es in der Vergangenheit profitabler, Gewerbeimmobilien zu errichten. Es gibt viele verschiedene Massnahmen, die aus verschiedenen Richtungen daran arbeiten, Wohnen in Israel erschwinglicher zu machen.

Mietwohnungen sind in privater Hand – das lässt sich schwer überwachen

Zwischenzeilen: Wäre es nicht auch eine Möglichkeit, die Rechte für Mieter zu stärken? Immerhin kaufen viele Israelis nur, weil sie es satt haben, sich mit unfairen Vermietern und exorbitanten Mieterhöhungen herumzuschlagen.

Mevorach: Da haben wir in Israel natürlich eine andere Situation als Länder wie Deutschland oder die Schweiz: Die meisten unserer Mietwohnungen sind in privater Hand. Das lässt sich schwieriger überwachen.

Zwischenzeilen: Ein einheitliches Mietrecht wäre eine Möglichkeit.

Mevorach: Wir fürchten, dass das effektiv die Preise anheben würde. Wenn Vermieter wissen, dass sie jetzt jahrelang keine Mieterhöhung durchsetzen können, bieten sie die Wohnungen eben direkt für deutlich mehr Geld an. Und wenn es Menschen gibt, die bereit sind, eine Summe X für eine Wohnung zu zahlen, wir deren Preis aber künstlich heruntersetzen, wird das Ganze zum Schwarzmarkt.

Proteste gegen hohe Mieten in Haifa, 2011 (Bild: Wikimedia/Hanay)
Proteste gegen hohe Mieten in Haifa, 2011 (Bild: Wikimedia/Hanay)

Zwischenzeilen: Es geht ja aber nicht nur um Mieterhöhungen. Reparaturen können rechtlich nicht durchgesetzt werden und oftmals werden nur 1-Jahresverträge abgeschlossen…

Mevorach: Dann müssten wir den Markt regulieren. Die israelische Regierung spricht sich aber für einen liberalen, freien Markt aus.

Zwischenzeilen: Es gibt eine starke Oberschicht in Israel, viele erfolgreiche Global Player – sie profitieren von dem freien, israelischen Markt. Sollte man sie nicht mehr in die Verantwortung nehmen?

Mevorach: Die maximale Einkommenssteuer liegt bei 48 Prozent, Unternehmen zahlen 25 Prozent, wir besteuern Zinsgewinne etc. – es gibt Länder, die viel geringere Steuern haben. Die meisten Steuern werden vom neunten und zehnten Perzentil unserer Bevölkerung gezahlt, dazu kommt, dass unser Sozialversicherungssystem sehr fortschrittlich ist, aber natürlich: Ein Sozialist würde sagen, besteuert die Reichen noch mehr. Die momentane Regierung sagt: Wir wollen weniger besteuern und weniger Dienstleistungen geben. Wir wollen einen freien Markt, der für unsere Wirtschaft funktioniert.

Zwischenzeilen: Frau Mevorach, vielen Dank für das Gespräch.

Im Gespräch: Yael Mevorach, Vize-Direktorin der Budget-Abteilung im israelischen Finanzministerium (Bild: Ministerium).
Im Gespräch: Yael Mevorach, Vize-Direktorin der Budget-Abteilung im israelischen Finanzministerium (Bild: Ministerium).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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