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Umfrage in der Eshkol Region: Krieg ist Alltag im Schutzraum

in Israel Zwischenzeilen/Reportagen

Eshkol könnte eigentlich als sprichwörtliches Synonym für den Anbau von Kartoffeln und Tomaten verwendet werden, denn die Region ist so fruchtbar, dass sie knapp 70 Prozent des israelischen Bedarfs abdeckt. Doch die 14.500 Einwohner in den 31 Gemeinden, Kibbuzim und Moshavim haben derzeit ganz andere Prioritäten: Hamas Tunnel, ständige Raketen und das Getöse der israelischen Streitkräfte in Gaza. Vier Eshkol Bewohner* berichten exklusiv für die GIS aus ihrem Alltag:                                                                                                   *Namen der Redaktion bekannt

 

Tamara: „Es ist keine Operation, es ist Krieg“

Tamara, aufgewachsen in Hannover, arbeitet in der Verwaltung, Mutter von zwei Mädchen, wohnt in Ein Habsor, ca. sechs Kilometer von Gaza entfernt  (Foto: privat)
Tamara, aufgewachsen in Hannover, arbeitet in der Verwaltung, Mutter von zwei Mädchen, wohnt in Ein Habsor, ca. sechs Kilometer von Gaza entfernt (Foto: privat)

„Seit Beginn der Operation „Protective Edge“ schlafen wir zu viert auf Matratzen in unserem Schutzraum. Mein Mann und ich bemühen uns, unseren Töchtern das Gefühl von Sicherheit zu geben. Trotzdem ist unsere siebenjährige Tochter  traumatisiert, nachdem neben uns auf dem Parkplatz eine Quassam-Rakete eingeschlagen ist. Unsere zehnjährige Tochter war für einige Tage bei der Oma ausserhalb von Eshkol, aber sie wollte nach drei Tagen zurück zu uns, trotz der Auseinandersetzung.Für uns ist das keine Operation, es fühlt sich an wie Krieg. Durch die Raketen aus Gaza sind letzte Woche bei uns die Fenster in der Nacht zerbrochen.
Jeder Gang zum Supermarkt macht mir Angst. Ausserdem hören wir ständig auch die israelischen Anschläge in Gaza, vor allem nachts ist es schwierig zu schlafen. Aber immerhin haben wir die Schutzräume, auch wenn wir nur 15 Sekunden Zeit haben, dahin zu laufen. Wir sind seit sieben Jahren in Eshkol, es ist unser dritter Krieg. Klar kommen uns die Gedanken, ob wir hier bleiben sollen, aber es ist doch unsere Heimat. Aber nach diesem Krieg brauchen wir eventuell  Hilfe für posttraumatische Erlebnisse.“

Irene, Mutter von zwei Söhnen, die derzeit eingezogen sind; wohnt im Kibbuz Urim, ca 17 Kilometer von Gaza entfernt, arbeitet jedoch in der Tagesbetreuung für Senioren in Neve Eshkol, das drei Kilometer von Gaza entfernt ist. (Foto: privat)
Irene, Mutter von zwei Söhnen, die derzeit eingezogen sind;
wohnt im Kibbuz Urim, ca 17 Kilometer von Gaza entfernt, arbeitet jedoch in der Tagesbetreuung für Senioren in Neve Eshkol, das drei Kilometer von Gaza entfernt ist. (Foto: privat)

Irene: „Der Zusammenhalt wird noch intensiver“

„Im Kibbuz Urim hören wir nicht nur, was in Gaza passiert, sondern auch viele Flugzeuge und Helikopter vom nahe gelegenen Militärflughafen. Besonders schlimm ist es, wenn die Helikopter vom Westen kommen, dann ist es höchstwahrscheinlich ein Schwerverletzten-Transport aus Gaza. Viele Soldaten kommen nach Neve Eshkol in die Tagesbetreuung für Senioren, in dem auch das Schweizer Gripspfad Projekt mit dem hirnaktivierenden Parcour für jung und alt von der Gesellschaft Israel-Schweiz eingeweiht wurde. Dort arbeite ich tagsüber. Wir geben den Soldaten etwas zu essen und zu trinken, sie können ihre Mobiltelefone aufladen und kurz duschen – aber alle sind unglaublich angespannt, weil sie wissen, dass sie gleich wieder zurück müssen.

Unser Speisesaal ist ein grosser Schutzraum, daher verbringen wir dort unsere meiste Zeit. Bei uns sind die Senioren nicht alleine. Der Gemeinschaftssinn ist ungeheuer hoch und für die Senioren ist es wichtig, dass wir jeden Tag da sind, das signalisiert Normalität. Trotzdem ist die Situation schwierig, ältere Menschen fühlen sich zu Hause am wohlsten, aber da ist es nicht sicher. Viele Gemeinden sind inzwischen fast verlassen, es gibt viel Sachschaden. Ich habe mich gerade mit einer Dame unterhalten, in deren Schlafzimmer eine Rakete eingeschlagen ist, kurz nachdem sie die Wohnung verlassen hatte.

Wir sind in ständiger Sorge, nicht einmal nur um uns selber, sondern um die gesamten Gemeinden.Ich wohne seit 20 Jahren in dieser Gegend, und in Kriegszeiten ist der ohnehin gute Zusammenhalt nochmal um vieles intensiver.“

 

Sharon: „Meine Tochter hat ein Raketenlied gedichtet“

Sharon, lebt und arbeitet in Kibbuz Magen, fünf Kilometer von Gaza entfernt. Ihre Eltern sind aus der Schweiz und Österreich, sie selbst ist Mutter von zwei Kindern. (Foto: privat)
Sharon, lebt und arbeitet in Kibbuz Magen, fünf Kilometer von Gaza entfernt. Ihre Eltern sind aus der Schweiz und Österreich, sie selbst ist Mutter von zwei Kindern.
(Foto: privat)

„Unser Leben hat sich dramatisch geändert. Vor einer Stunde ist eine Quassam Rakete in unserem Kibbuz eingeschlagen, aber Gott sei Dank hat sie nur Sachschaden verursacht. Wir versuchen mit aller Kraft, Normalität aufrecht zu erhalten, aber das ist bei der ständigen Bedrohung schon sehr schwierig. Wir erlauben unseren drei- und sieben Jahren alten Kindern nur in der Nähe von unserem Haus oder dem Kindergarten draussen zu spielen, damit sie immer in Laufweite eines Schutzraumes sind. Im Kindergarten schlafen übrigens nachts viele Menschen, weil viele Häuser keine eigenen Schutzraum haben.

Die grösste Bedrohung sind die Tunnel. Wir haben uns in den vergangenen 13 Jahren an die Geschosse und Raketen gewöhnt, man weiss wo der nächste Schutzraum ist. Aber die Tunnel machen uns hilflos und ängstlich. Wir wissen nie, ob nicht vor der Haustür bewaffnete Menschen aus einem Tunnel steigen werden. Das schlaucht.Wir vertrauen der israelischen Armee und dem Sicherheitspersonal im Kibbuz, aber ich habe Angst. Wie kann ich meine

Kinder beschützen?  Wir versuchen ihnen die Angst zu nehmen, sagen beispielsweise morgens und abends „Guten Morgen“ und „Gute Nacht“ zu den Raketen. Meine siebenjährige Tochter hat mit ihrer Freundin sogar ein Lied über Raketen geschrieben und mein kleiner Sohn spielt unbeschwert im Pool, während im Himmel die Raketen fliegen.

Aber ich kann auch die Kinder in Gaza nicht vergessen – gerade vor zwei Nächten gab es einen Raketenhagel auf Gaza. Es hört sich an wie ein Sturm ohne Regen.Wir brauchen eine politische Lösung und ein Friedensabkommen und eine Lösung für die Gefahr aus den Tunneln.“

Michael: „Papa, warum schießen die Raketen aus Gaza?“

Michael, lebt in Ein Habsor, sechs Kilometer von Gaza entfernt. Er arbeitet im Kibbuz Magen und ist Vater von zwei Kindern (Foto: privat)
Michael, lebt in Ein Habsor, sechs Kilometer von Gaza entfernt. Er arbeitet im Kibbuz Magen und ist Vater von zwei Kindern (Foto: privat)

„Die Situation ist unglaublich frustrierend, weil niemand weiss, wann es enden wird. Sind wir doch ehrlich: es geht seit über drei Wochen und keiner kann sagen, wie und wann es aufhört. Man wird sich niemals richtig an die Raketen gewöhnen.

Als ich klein war, sind wir in Gaza an den Strand zum Baden gegangen. Das erzähle ich jetzt meinen zwei Kindern, die drei und sechs Jahre alt sind. So versuche ich sie zu entspannen und ihnen zu zeigen, dass es in Gaza einmal den normalen Alltag gab.  Letztens hat mich meine sechsjährige Tochter gefragt, warum die aus Gaza mit Raketen auf uns schiessen. Das ist so schwer zu beantworten, vor allem kindgerecht. In Gaza stellen die Kinder vermutlich die gleiche Frage.

Wir Erwachsenen schlafen im Schlafzimmer, aber die Kinder schlafen im Schutzraum. Meine Eltern hingegen haben keinen Schutzraum im Kibbuz Magen. Aber weg wollen sie auch nicht, es ist Heimat. Das einzige, was mich optimistisch hält ist die Tatsache, dass wir im Nahen Osten das einzige freie Volk sind – wir können wählen, kommen und gehen. In unseren nicht-demokratischen Nachbarländern ist das nicht so. Nach dem Arabischen Frühling ist die Lage instabiler geworden, denken wir nur an Syrien, Ägypten – und auch Gaza passt in die Reihe.“

Umfrage: Jennifer Bligh

 

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