MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kolumne: Sein und Werden

in Israel Zwischenzeilen/Kolumne/Leben, Kultur & Sport

Vor einigen Tagen erreichte mich eine herzallerliebste Mail: Yotam, ein junger Israeli, dessen deutsche Freundin bald zu ihm nach Israel ziehen würde, fragte mich, ob ich mein Buch „Guten Morgen Tel Aviv“ für sie als Überraschung signieren könnte. Sie sei ein riesiger Fan und das Buch würde ihr so oft weiterhelfen, er könne sich daher kein besseres Willkommensgeschenk für seine Herzensdame vorstellen.

Ich bekomme gelegentlich Leser-E-Mails. Manchmal beschweren sie sich, dass das Haus in der Herzlstrasse 3 nicht so aussieht, wie in einem meiner Krimis beschrieben. Manchmal schreiben sie mir, dass meine Bücher sie zum Lachen bringen. Manchmal will man von mir wissen, welche die beste israelische Krankenversicherung ist.

Aber die Mail von Yotam war etwas besonderes, denn sie erinnerte mich an mich selbst: Auch ich war im Monat Februar nach Israel gezogen. Genauer gesagt, im Februar 2010. Das ist jetzt acht Jahre her, aber ich erinnere mich immer noch sehr genau an die Fremde, die ich in meiner ersten Nacht in der neuen Wohnung in Tel Aviv empfand. An diese Unsicherheit, dieses Gefühl, nicht zu wissen, was auf mich zukommt und doch diesen festen Vorsatz, zu kommen um zu bleiben.
Natürlich watschte Israel mich erst einmal ab. Ich war mit einer rosa-roten-Brille, der entrückten Verliebtheit einer Touristin gekommen und holte mir erst einmal ein paar saftige Ohrfeigen.

Das Leben in Israel stellte mein bisheriges in Frage. Und weil ich plötzlich nicht mehr wusste, wer ich war, wurde ich weinerlich, sentimental, aggressiv und manchmal auch furchtbar traurig. Ich hatte Heimweh, sehnte mich nach deutschen Sommern, meinem Berlin und als ich zum ersten Mal schwanger wurde, fehlte mir nichts mehr, als dass meine Eltern (damit meine ich natürlich vor allem meine Mutter) einfach nur eine Zugfahrt entfernt sein würden. Israel zwang mich, neu zu definieren, wer ich sein wollte. Meine Identität, die bis dahin, immerhin war ich in Deutschland als Bestandteil der gemütlichen Mehrheitsgesellschaft aufgewachsen, immer glasklar gewesen war, machte Kopfstand.
Ich befand mich lange irgendwo zwischen der alten und der neuen Welt, und der Ort an dem ich mich am wohlsten fühlte, war der Flieger. Nicht hier und nicht dort, sondern einfach nur auf dem Weg.

Aber mit jedem Jahr, und jedem Kind (Spass beiseite, es sind ja bisher nur zwei), kam ich mehr an. Ich fand zu mir selbst zurück. Mein Hebräisch wurde besser, ich konnte jetzt fluchen und streiten und sämtliche Telefonhotline-Roboter bezwingen, ich begann, Auto so zu fahren, wie man es in Israel muss: immer eine Hand auf der Hupe und die andere bereit zum Lenkrad rumreissen. Vor allem aber lernte ich, die Israelis, die sich ja nicht immer so ganz einfach verstehen lassen, wenn man aus so einem förmlichen Land wie Deutschland kommt, in mein Herz zu lassen. Ihre Direktheit zu lieben, nicht nur zu dulden und ihre Emotionalität als den Teil in mir zu erkennen und anzunehmen, der in Deutschland fast verkümmert wäre.

Gestern dann fuhr ich zu einer archäologischen Ausgrabungsstätte für eine Publikation, an der ich gerade arbeite. Inmitten eines kleinen Waldstücks bei Kiryat Gat traf ich einen der renommiertesten Archäologieprofessoren dieses Landes. Die eigentliche Begegnung aber fand abseits meiner beruflichen Verpflichtung statt. In einer der Gruben hielt auch ein junger Mann einen Spaten in der Hand, ich sprach ihn an, weil ich ihn sofort als Deutschen erkannt hatte. Er war nicht nur Deutscher, er kam aus der gleichen Stadt wie ich – ja, wir waren sogar beide im Südstadtkrankenhaus in Rostock geboren worden. Und sofort war es da, dieses Gefühl der Vertrautheit, das man eben nur mit Menschen hat, mit denen man die gleiche Lebensbasis teilt. Und die man nicht mal kennen muss, um augenblicklich ein Gefühl der Gemeinsamkeit zu spüren, das tiefer geht als Musikgeschmack.

Aber zum ersten Mal war es okay. Ich war nicht traurig, dass ich in diesem Moment nicht mehr dort war, sondern jetzt eben hier. In Israel. In diesem Land, das nicht nur Teil meiner Identität geworden war, sondern sie wesentlich geformt hatte.

Auf dem Weg nach Hause schallte Materias „Mein Rostock“ aus den Autolautsprechern, während draussen israelische Landschaft an mir vorbeizog. Irgendwo hinter mir glitzerte bestimmt auch das Mittelmeer. Ich hatte eine Hand auf der Hupe und die andere war bereit, das Lenkrad rumzureissen.
Ich war angekommen.

Zwei Rostocker in Israel (Bild: KHC)

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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